Tach auch!
Jetzt muss ich doch auch mal meinen Senf zu all dem geben. Also ein paar Statements - alles ist natürlich nur meine persönliche Meinung:
1. Der wichtigste Punkt ist meiner Ansicht nach, sich überhaupt kreativ selbst oder in Gruppen zu beschäftigen. Ob ich das mit fischertechnik, Lego oder was auch immer mache, ist zweitranging. Zunächst die Freude am Bauen und Spielen, später das Tüfteln und Durchhalten bis zum funktionierenden Modell sind überall möglich.
2. Das gesagt, sehe ich den Unterschied zwischen fischertechnik und Lego - früher noch stärker als heute - in der Entscheidung zwischen "möglichst wenige, sehr gut durchdachte, flexibel nutzbare Teile" und "Spezialteile für alles und jedes, und wenn's nur ein in einem bestimmten Winkel gebogener Kotflügel für ein einziges Modell ist". Historisch hatten fischertechnik und Lego in den Anfängen nur wenige Bauteile, aber bei fischertechnik eben ganz dramatisch besser für Modellbau anstatt nur für hübsch anzusehende Standmodelle geeignet. Später kam Lego Technic dazu, und heutzutage können wir wohl vor den Modellbauern beider Fraktionen tief den Hut ziehen, wenn wir die sagenhaften Modelle betrachten, die da gebaut wurden.
3. Die vielen Teile bei Lego würden mich vermutlich an den Rand des Wahnsinns treiben. Mir persönlich gibt es bei ft schon viel zu viele entbehrliche Spezialteile. Ich stehe wie schon erwähnt auf so wenige verschiedene Teile wie nur irgend möglich, die aber super durchdacht. Gute Beispiele dafür finde ich den Grundbaustein selbst, aber auch z.B. den Werdegang der Gelenkbausteine von 1968 bis heute. Weitere finden sich in den "Perlentauchen"-Beiträgen der ft:pedia. Um alle Bereiche wie Mechanik, Elektrik, Elektronik, Pneumatik, Computerei abzudecken, kommen auch so schon unübersichtlich viele Teile zusammen. Als Negativbeispiel würde ich die heutigen ganz kleinen Kästen ansehen: Da sind aus Mechanik und Statik so viele verschiedene Teile drin, dass man durch Besitz eines solchen Kastens nicht schlau aus den Gedanken dahinter wird und gar nicht erkennen kann, wie das fischertechnik-"System" aufgebaut ist. Früher war das anders, da hatten die Mitbringsel-Kästen ganz überschaubar wenige verschiedene Teile.
4. Farben. Was hab ich nicht schon geschimpft und mich geärgert. Immer wenn ich von einer Farbe keine Teile mehr habe, muss ich das Modell farblich damit versauen, dass ich andere Farben verwende, weil ich von denen halt noch Teile habe. Ich will aber Modelle bauen und habe nicht das geringste Interesse, Geld und Platz dafür zu verschwenden, meinen Teilebestand mehrfach anzuschaffen, nur damit ich ja von jeder Farbe genug habe. Das ärgert mich jedes Mal, wenn wieder mal eine neue Farbe bei fischertechnik auftaucht. Wegen mir könnten wir gerne bei den früher verwendeten Farben - grau und rot und gut ist's - bleiben. Das grau ist wenigstens ordentlich fotografierbar; wenn ich ein Detail in einem mit aktuellen Teilen hergestellten Modell aufnehmen will, fotografiere ich immer in ein schwarzes Loch hinein und man erkennt kaum Details.
6. Modellkästen vs. Teilebestands-Kästen. Das ist klar Marketing-bedingt und möglicherweise unumgänglich, aber dennoch finde ich Kästen mit der Aufschrift "600 Teile - 3 Modelle!" schon arg bedenklich. Wie wäre es mit einer Wiederbelebung von "60 Teile - 100 Modellvorschläge und Grenzen nur durch die Phantasie"? Das ist natürlich nur möglich, wenn 3. erfüllt ist und wir wirklich wenige verschiedene, aber eben intelligent erdachte Teile haben. In diesem Punkt kann Lego wohl mit fischertechnik nicht mithalten.
7. Der Computing-Hype. Es kommt mir so vor, wie wenn es heutzutage nur darum ginge, in Richtung Computing, Robotik, Sensoren, Bildverarbeitung und anspruchsvollster Informatik tätig zu werden und die Bauteile nur zum Zusammenleimen der Computing-Elemente zu benutzen. Ebenso scheint keine Aufgabenstellung zu einfach, um sie nicht mit einer Black Box mit ein paar Milliarden Transistoren zu erschlagen, und sei es nur das Einschalten eines Motors beim Drücken eines Tasters. Gibt's eigentlich noch was anderes als diese erheiternde Featuritis beim Computing? Müssen sich Gespräche über ft-Modelle wirklich darauf beschränken, was für ein Prozessor da in welcher Sprache programmiert wird und über was für ein Bussystem die Sensoren angeschlossen sind? Natürlich ist Computing eine ganz formidable Erweiterung des fischertechnik-Horizonts, aber solange ein Interface auch mobil offline seine Arbeit verrichten kann, sind Details wie sein Zeitraster und dergleichen doch wirklich nichts, was einen fischertechniker beim Lösen von Modellproblemen aufhalten sollte, sondern bloß Details, die mit dem technischen Fortschritt von ganz alleine obsolet werden. Das bringt nur neue Quantitäten ins System, aber doch keine grundsätzlich neue Qualität.
8. Die Entwicklung des fischertechnik-Systems und seine Zukunft. Da muss ich sagen, erfreuen mich die Neuvorstellungen der letzten Jahre ganz außerordentlich. Und auch die neuen Teile und Kästen dieses Jahres ermutigen mich enorm. Endlich wieder ein richtiger Elektronik-Kasten! Lang möge er im Programm bleiben! Das neue Interface liefert für die Computing-Fans die so sehr vermissten Featureversprechen des TX nach. Kugelbahnen kann man auch aus Standardteilen wunderbar bauen, aber die Kugelbahn-Schienen sind doch für so viel mehr als nur für Kugelbahnen zu verwenden und in diesem Sinne eine wirkliche Bereicherung. Ich glaube, die fischertechnik-Macher hören in den letzten Jahren viel mehr auf Stimmen der Community, wie hier aus dem Forum oder durch Besuche auf der Convention und hoffentlich noch aus vielen anderen Quellen. Ein hervorragendes Beispiel dafür war wohl auch der jüngste Kompressor, der wirklich alle Wünsche der Fans super erfüllt. Herz, was willst Du mehr? Um die Zukunft von fischertechnik mache ich mir derzeit nicht die geringsten Sorgen. Wir wollen und werden Lego nicht platt machen
, da sind ein freundschaftlicher und zielführender Wettbewerb und die gegenseitige Befruchtung mit Ideen doch genau das Salz in die Suppe. Weiter so, fischertechnik!
Viele Grüße,
Stefan